Es geschieht einem als Theaterbesucher nicht allzu oft während einer Vorstellung gleich von drei unterschiedlichen Schauspielern in den Rock gebissen zu werden. Wenn die Hälfte der über 50 Schauspieler allerdings Hunde spielen, ist die Wahrscheinlichkeit natürlich nicht nur gegeben sondern auch hoch. Insbesondere wenn man sich als Gast – so die von den Theatermachern gewünschte Bezeichnung für das Publikum – zwischen den Akteuren bewegt.

In Bewegung kommt bei der Installations-Performance des österreich-dänischen Künstler-Duos SIGMA, die Ende Mai im Rahmen der Festwochen ihre Wiener Uraufführung erlebte, tatsächlich so einiges. Im Laufe der fünfstündigen Performance „Us Dogs“ heißt es für die Gäste nicht nur zwischen den über drei Stockwerken verteilten „Bühnen“ hin und her zu wandern sondern auch geistig und emotional munter zu agieren. Kurz einmal wegnicken wie im guten alten Zuschauerraum – ein Ding der Unmöglichkeit. Wo man auch hinsieht räkelt sich ein als Mensch verkleideter Hund beziehungsweise dem Inhalt des Stückes folgend, ein Hund in Menschengestalt. Diese sonderbaren Wesen, die von der Gesellschaft als Sonderlinge oder schlicht und einfach als behindert verstoßen wurden und sich nur allzu gerne an die Beine der Zuschauer bzw. Gäste schmiegen, nennen sich Hunsch. Ein Begriff, mit denen ein gewisser Graf Sigbert Trenck von Moor vor rund vierzig Jahren ihren Zustand zu beschreiben versuchte. Laut den Bewohnern des monatelang für das Stück liebevoll dekorierten Hauses in der Faßziehergasse 5a (Archiv und Probebühne des Volkstheaters) wird man als Hunsch geboren und – so ist man sich einig – es werden immer mehr.

Wirres Beziehungsgeflecht zwischen den Bewohnern erkunden

Doch warum steigt ihre Zahl und wie mit all den Hunschen umgehen? Eine Frage, die die Herrchen (die geschätzte andere Hälfte der Schauspieler) nicht eindeutig beantworten können. Laut dem Grafen, der vor 40 Jahren den Verein „Canis Humanis“, der sich jenen Hunschen annimmt, gründete, liegt in den Hunschen die Zukunft der Menschheit. Es sei unsere moralische Verpflichtung sich den Schwächeren und Ausgestoßen anzunehmen, sonst würden wir als Menschen versagen.

So etwas oder Ähnliches erfährt man als Gast, wenn man es endlich geschafft hat zu dem alten Grafen, der nach einem Schlaganfall seinen Salon nur mehr selten verlässt, vorgelassen zu werden. Eine Mühe, die sich lohnt, denn tatsächlich hat man nach dem Gespräch mit dem – übrigens meisterhaft gespielten – Trenck von Moor das Gefühl in der Performance inhaltlich weiter gekommen zu sein. Ganz durchschaut haben wird man das Konstrukt der Beziehungen, in dem die unterschiedlichen Bewohner des Hauses – Herrchen samt Hunsche – miteinander stehen und leben jedoch auch nach Ende der Performance nicht. Zu kompliziert das Geflecht, und zu menschlich (im Sinne von jeder hat seine Sicht auf die Dinge) sind die Aussagen der Akteure. Aber gerade darin liegt auch der Reiz der Performance: es macht schlicht und einfach Spaß sich – nach einer kürzeren Gewöhnungsphase – beinahe dedektivisch die unterschiedlichen Geschichten und Beziehungen der Bewohner zueinander anzueignen. Wer kann wen nicht leiden und warum? Wer hat Pepi tatsächlich geschlagen? War es sein von ihm über alles geliebtes Frauchen oder doch der im Haus unglückliche Neffe des Grafen? Und wie steht der verstörte Hunsch Pax – der zu Beginn die Einführung im Salon stört – zu all dem? Wer es wissen oder vielmehr wagen will, kann Pax zum vorgegebenen Terminen im Zwinger befragen.

Kein leichtes Unterfangen, denn die Umgebung des Zwingers – der Keller des Hauses – ist per se kein Ambiente, in dem es sich angenehm reden lässt. Der Besuch hier gehört zum emotional anstrengendsten Teil der Performance. Durchaus gewollt, denn SIGNA sind bekannt dafür, Schauspieler wie Publikum emotional herauszufordern. Und wo ließe sich das besser als in einem Ambiente, das an eine Mischung aus Sado-Maso-Kammer und Tierheim erinnert, bewerkstelligen. Dass manch ein Gast mit einem Taser ausgestattet wird, falls es zu gewalttätigen Übergriffen von Seiten eines der hier zur Erziehung befindlichen Hunschen kommt, trägt mitunter zur Unbehaglichkeit bei. Allerdings hat man jeder Zeit die Möglichkeit, den Zwinger zu verlassen und sich in den Salon zurückzuziehen und einen der Vorträge zu lauschen. Letztendlich liegt es beim Besucher inwieweit er sich auf die Performance überhaupt einlassen möchte. Mit Zwingererfahrung oder ohne: „Wir Hunde“ ist definitiv ein Erlebnis, das nachwirkt.

Wir Hunde / Us Dogs
SIGNA / Signa und Arthur Köstler
Performance-Installation
Fassziehergasse 5A, 1070 Wien
Termine: 03., 04., 07., 08., 09., 10., 11., 14., 15., 16., 17., 18. 19:00 Uhr
Tickets: www.festwochen.at

@Fotos: Wiener Festwochen

Geschrieben von Sandra Schäfer